Ursula Forrer
feierte mit der Stiftung Zeitvorsorge das 10-Jahres-Jubiläum.
Tobias Müller ist Oberarzt und Abteilungsleiter der Aufnahme- und Notfallstation 4 der Psychiatrie St.Gallen am Standort Pfäfers.
Die psychische Belastung von jungen und queeren Menschen ist gestiegen. Vier Fragen an Oberarzt Tobias Müller anlässlich des Welttages der Suizidprävention am 10. September.
Wie steht es um die Suizidalität in der Schweiz?
Tobias Müller: Studien zeigen, dass die psychische Belastung deutlich zugenommen hat, gerade bei Kindern und Jugendlichen. Leider haben wir kaum valide Zahlen zu Suizidversuchen, da diese statistisch nicht routinemässig erfasst werden. Die Dunkelziffer ist vermutlich sehr hoch. Es deutet jedoch einiges darauf hin, dass die Zahl in den letzten Jahren gestiegen ist. In unseren Aufnahme- und Notfallstationen ist Suizidalität in schätzungsweise 50 Prozent der Fälle ein Thema, das scheint in den letzten Jahren zugenommen zu haben.
Warum ist die psychische Belastung bei den 14- bis 25-Jährigen gestiegen?
Das ist eine komplexe Frage. Corona hat eine Rolle gespielt, aber es gibt noch weitere Faktoren. Wir sind heutzutage beispielsweise öfter am Bildschirm und weniger in der authentischen sozialen Interaktion. Hinzu kommen vermehrt auch ganz konkrete Krisen wie Kriege oder Klimawandel, die immer näher rücken und zu Zukunftsängsten führen können.
Die Suizidversuchsrate bei LGBTIQ-Personen in der Schweiz ist laut Studien viermal höher. Spüren Sie das im Klinikalltag?
Queerness ist zwar gelegentlich Thema in den Therapien, aber nicht die Hauptursache für Suizidalität. Die durchaus herausfordernde Identitätsfindung sowie auch der gesellschaftliche Umgang mit dem Thema und den Betroffenen können das Suizidrisiko aber erhöhen. Diskriminierung und Mobbing können eine enorme Belastung sein und ebenfalls einen Einfluss haben.
Wie äussert sich Suizidalität und wie sollen Aussenstehende reagieren?
Häufige Merkmale sind sozialer Rückzug, Wesensveränderungen, Schlafstörungen oder Gedankenkreisen. Wenn die Person sich plötzlich anders verhält oder man das Gefühl hat, dass etwas mit ihr nicht stimmt, sollte man das Gespräch suchen – in aller Ruhe, aufmerksam und ohne Drängen. Wichtig ist das Signal: Du bist nicht allein, ich stehe hinter dir, ich unterstütze dich. Suizidgedanken zu hegen, bedeutet nicht, dass man in eine Klinik muss. Es gibt verschiedene Unterstützungs- und Behandlungsmöglichkeiten.
Du glaubst, du kannst eine Krise nicht selbst bewältigen? Das musst du auch nicht. Lass dir helfen! Es gibt zahlreiche Stellen, die rund um die Uhr für Menschen in suizidalen und depressiven Krisen da sind – vertraulich und kostenlos.
Ostschweizer Forum für Psychische Gesundheit: ofpg.ch (unter Notfall / Hilfe finden)
Die Dargebotene Hand: Tel 143, 143.ch
Beratung + Hilfe 147 für Jugendliche: Tel 147, 147.ch
Reden kann retten: reden-kann-retten.ch
SERO, App für Suizidprävention: sero-suizidpraevention.ch
pd
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