Maria Pappa
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Der einzigartige Pic-o-Pello-Zirkus mit Clown Pic als Hauptinitiant führte vor einem halben Jahrhundert dazu, dass ein ganzes St.Galler Stadtquartier nicht wie vorgesehen dem Verkehr geopfert wurde und in der Folge die Wohnqualität am Damm deutlich erhöht werden konnte. Dabei hatten die Vorstellungen selbst keine politischen Komponenten, sorgten aber dafür, dass darauf politische Aktivitäten zur Erhaltung und Aufwertung des Quartiers erfolgten.
Altstadt Damals war noch eine Südumfahrung geplant auf vier Spuren sowie ein Tunnel von der Davidstrasse bis hinters Kloster. Der Generalverkehrsplan aus den 60er Jahren richtete sich darauf aus, dass die Stadt auf absehbare Zeit auf 138'000 Personen wachsen werde. Bereits hatte die Stadt damit begonnen, sukzessive ein gutes Dutzend sanierungsbedürftiger Häuser im Dammquartier zu erwerben, einzelne zu überhöhten Preisen, wie sich später herausstellte. Aufgrund dieser Planung sahen sich diverse Restaurants in ihrer Existenz gefährdet. Die Künstler am Mühlesteg bangten um ihre Ateliers.
Da kam der junge Clown Pic (Richard Hirzel) wie gerufen, eben von der Ecole Jacques Lecoq in seine Heimatstadt zurückgekehrt. Er war vertraut mit den Verhältnissen in der Altstadt, aufgewachsen als Sohn eines Künstlers an der Spisergasse. Auf dem Montparnasse hatte er erstmals ein engagiertes Strassentheater gesehen, das ihn dermassen begeisterte, dass er so etwas auch zu Hause in St.Gallen machen wollte, als er 1974 zurückkehrte und in eines der Ateliers am Mühlesteg einzog. Er wollte nicht, wie von der Gewerbepolizei angeregt, den Platz zwischen den Neumarkt-Komplexen für ein Strassentheater bespielen, sondern den namenlosen Platz mit besonderem Ambiente gegenüber seinem Atelier, der nach dem Abriss eines baufälligen Hauses entstanden war. Mutig engagierte er junge Künstler aus der ganzen Ostschweiz. Bildhauer Max Oertli wurde zu einem Dompteur eines Elefanten, den er aus 50 Pelzmänteln aus dem Brockenhaus fabrizierte. Die Splügen-Wirtin stellte sich als Nummerngirl zur Verfügung. So kam ein klassisches Repertoire zustande mit Schlangenbeschwörerinnen, Jongleuren, einer Feuerschluckerin und einem Kunstradfahrer. Gesamthaft fanden sich 50 Mitwirkende, um ein vielseitiges Zirkus-Programm zu präsentieren. Der Spassmacher Pello (Heinz Müller), ein Freund von Pic aus der Lecoq-Schule, wirkte ebenfalls mit, der für Pic weit über das St.Galler Experiment hinaus ein künstlerischer Begleiter werden sollte, unter anderem im Zirkus Roncalli. Die Vorbereitungen dauerten ein ganzes Jahr. Am 14. Juni 1975 konnte die Premiere stattfinden. Alle 700 Plätze waren ausverkauft. Die Altstadt-Gebäude wurden ins Geschehen miteinbezogen. Hoch oben balancierte Pello auf einem Seil. Das Team strebte denn auch an, dass die Häuser vom Publikum als lebendiges, erhaltenswürdiges Quartier wahrgenommen wurden. Der Zirkus beanspruchte keinerlei öffentlichen Gelder, musste im Gegenteil der Stadtverwaltung eine Entschädigung bezahlen für die entgangenen Parkplatzgebühren. Zum Abschluss der Vorstellungen formierte sich am 4. Juli eine Aktion zur Rettung des von Verfall und Zerstörung bedrohten Quartiers zu einer Kundgebung. Zur Einweihung des Pic-o-Pello-Platzes enthüllte Max Oertli eine selbstgestaltete Strassentafel. Innerhalb von drei Tagen traten 450 Personen dem neuen Verein bei. Nach den Statuten wollten sie eine Überbauung, aber auch Abbrüche für den Verkehr verhindern. So konnte es zum «Wunder von St.Gallen» kommen, wie es in den Medien verschiedentlich hiess.
1979 kam eine weitere Pic-o-Pello-Aktion zustande, um auf Dreilinden den Abbruch der alten Frauenbadeanstalt zu verhindern. 1983 erfolgte die Einreichung der Initiative zum Schutz des Klosterbezirks. Nach einigem Hin und Her wurde das Strassenbauprojekt fallengelassen. 1993 war es vollständig vom Tisch, als in einer Volksabstimmung der Gegenvorschlag des Stadtrates mit 63 Prozent der Stimmen verworfen wurde. Das vom Volk ebenfalls angenommene Reglement für nachhaltige Verkehrsentwicklung verunmöglicht heute einen derartigen Strassenbau ist der Zerstörung eines ganzen Quartiers. Es kam in der Folge zu mehreren Sanierungen alter Gebäude, die zu einer starken Erhöhung der Wohnqualität führten.
Franz Welte
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