Karl Grob
gab sein Fachwissen an seine Berufskollegen im Benin weiter.
Lady Kate arbeitet seit über 20 Jahren im Rotlichtmilieu und bietet Sex gegen Geld an.
In der Schweiz prostituieren sich schätzungsweise zwischen 13'000 und 25'000 Menschen. Eine davon ist Lady Kate. Nicht des Geldes, sondern der Liebe wegen ist sie vor knapp 20 Jahren ins Sexgewerbe eingestiegen. In all den Jahren hat sie in Abgründe geblickt, Höhepunkte erlebt und ihren Platz in einer Nische gefunden.
Rotlicht Ich klingle an der Tür. Eine Frau Mitte 50 und von schlanker Postur öffnet, bittet mich herein und auf dem Kingsizebett Platz zu nehmen. An einer Kleiderstange hängen verschiedene Kostüme, auf einer Kommode sind Vibratoren sowie verschiedene Peitschen aufgereiht. Die roten Vorhänge sind zugezogen, die Stehlampe in der Ecke taucht den Raum in ein fahles Licht. Es riecht nach Duftkerzen und Parfüm. Lady Kate setzt sich in ihrem schwarzen Ledermini auf einen Stuhl. Sie mietet das Zimmer alle paar Wochen, um als Sexarbeiterin zu arbeiten.
Kate ist als Tochter eines international tätigen Journalisten und einer Mitarbeiterin des US-Aussenministeriums in Washington DC aufgewachsen. Nach einer Ausbildung in Internationalen Beziehungen arbeitete sie in der Finanzbranche. Nach der Trennung ihrer Eltern zog es die Mutter nach Europa und Kate folgte ihr. So kam sie 2003 in die Schweiz, wo sie kurz darauf eine Frau kennen und lieben lernte. «Es war Liebe auf den ersten Blick», erinnert sich Kate. Eines Tages meinte ihre Freundin, dass es besser wäre, wenn Kate einem Job nachgehen würde, damit sie sich schneller integrieren würde. Kate überlegte sich, welcher Tätigkeit sie nachgehen könnte. Sie mochte Grenzerfahrungen und erinnerte sich an eine Aussage ihres Vaters: Man müsse Verständnis haben für Menschen im Milieu und sie nicht verurteilen. «Einerseits brauchte ich einen Job, der konträr zu meinen früheren Tätigkeiten war, andererseits wollte ich der Aussage meines Vaters auf den Grund gehen», sagt Kate. Kurz entschlossen meldete sie sich auf eine Sexannonce in der Zeitung und wenige Tage später traf sie sich mit einer lokalen Rotlicht-Grösse zu einem Gespräch.
Alles ging sehr schnell und schon bald arbeitete Kate in einem Studio, um gegen Bezahlung Sex anzubieten. «Die Puffmutter war eine Ungarin», erinnert sich Kate. «Innert weniger Tage musste ich alle Tricks und Handgriffe lernen und mich nicht nur vor den Freiern, sondern auch vor den Mitarbeiterinnen beweisen.» Rückblickend sei sie sehr froh, dass sie bei der Ungarin gelandet war. «Sie war empathisch und führte mich sanft ein», sagt Kate. Trotzdem sei es eine harte Schule gewesen, da sie bis dahin wenig Erfahrung mit Männern hatte. Dies sollte sich jedoch schnell ändern. Kate erfüllte fast täglich die Bedürfnisse von bis zu 30 Männern.
An den Wochenenden hatte sie jeweils frei. Dann genoss sie die Zeit und Zweisamkeit mit ihrer Freundin. Auch wenn sich Kate gerne an diese Beziehung erinnert, schmerzt es sie dennoch ein wenig. «Es war eine aussergewöhnliche Beziehung, die mich für mein Leben geprägt hat», offenbart Kate. Von Anfang an habe sie ihre Partnerin eingeweiht und ihr von ihrer Arbeit erzählt. Ihre Freundin wiederum habe ihr anvertraut, dass sie an Agoraphobie leide. Die Krankheit und die schwierige Familiensituation der Freundin führten 2013 zum Suizid von Kates Partnerin. «Das war unglaublich schlimm für mich», erzählt Kate, «ich habe fast zehn Jahre gebraucht, um mich davon zu erholen.» Wegen der Familienfehde habe sie die dunklen Seiten der Menschheit kennengelernt und könne deswegen heute besser mit den Schattenseiten ihres Berufes umgehen. Dies führte dazu, dass Kate heute wissen möchte, wie ihre Klienten ticken und wie sie ihnen helfen kann.
Der Verlust schmerzte Kate derart, dass sie zu Drogen griff. «Die Stunden im Studio können lang sein», erklärt die Amerikanerin. Dann seien die Verlockungen der Drogen gross. Eine Zeit lang hing alles an einem seidenen Faden. «Glücklicherweise kam ich wieder davon weg», sagt Kate. Sich aus dem Sog der Drogen zu befreien, sei hart gewesen und hätte Spuren bei ihr hinterlassen. Es sollte nicht die letzte Erfahrung bleiben, die sich in ihre Seele brannte. «Im Sexgewerbe erlebt man die skurrilsten Sachen», erwähnt Kate. «Ich habe in Abgründe geblickt, die ich nicht für möglich gehalten habe.» Bei den über 30'000 «Beziehungen», die sie in den letzten 20 Jahren hatte, sei alles dabei gewesen: Von Nerds über Drogenabhängige bis zu Freaks, die den Bezug zur Realität verloren haben und von Studenten über Familienväter bis hin zu Tattergreisen. Nicht selten habe sie sich vor ihren Kunden geekelt oder sei angewidert gewesen. «In diesem Beruf muss man die Bereitschaft haben, Dinge zu verstehen, die nicht zu verstehen sind», erklärt Kate. Je länger sie im Business sei, desto weniger sei sie bereit, bizarre Wünsche zu befriedigen.
Bot ihr das Studio einen gewissen Schutz vor abstrusen Gestalten, müsse sie seit 2018 und ihrem Schritt in die Selbstständigkeit die Kundschaft besser filtern und sowohl Situationen wie auch Freier erkennen, die eine Gefahr darstellen könnten. «Dank der Arbeit im Studio habe ich einen Sinn dafür entwickelt, was ich verkraften kann und wo meine Grenzen sind», teilt Kate mit. Mit der Zeit habe sie sich so eine eigene Nische in der Fetisch- und Domina-Szene geschaffen. Musste sie früher fast jeden Mann an sich heranlassen, entscheide sie heute selbst, wer sie besuchen darf und wer nicht. «Meine Freier wollen ausgeliefert sein, gekidnappt oder ein wenig malträtiert werden», sagt die Domina. Gemeinsam mit den Kunden entwickle sie Szenarien, in denen die Männer gedemütigt, ausgepeitscht oder blossgestellt werden. Die Freier hätten ein Mitspracherecht, aber sie führe den Lead und bestimme die Grenzen. Entweder mietet sie sich ein Zimmer, oft aber arbeite sie auch im Freien – ob Sommer oder Winter. Aber immer schlüpfen ihre Kunden in verschiedene Rollen, die sie in ihrem Alltag nicht ausleben können.
Nebst den Tiefen, die sie durchschritten hat, gab es auch zahlreiche Höhepunkte. Nicht zuletzt deshalb sei sie dem Sexgewerbe treu geblieben und sie könne es sich auch künftig vorstellen, die Fantasien ihrer Kundschaft zu erfüllen. «Es erregt mich zu sehen, wie mein Tun und Handeln die Männer erregt», offenbart die Amerikanerin. Solange ihr Körper und Geist mitmachten, übe sie die Tätigkeit weiter aus.
Vielleicht werde es immer mehr zum Hobby, denn seit jeher sei sie vielseitig interessiert gewesen. Auch jetzt bilde sie sich weiter, perfektioniere die Sprache und möchte sich mehr in der Gemeinschaft einbringen. «Je älter ich werde, desto mehr möchte ich das 'Bünzli-Leben' kennenlernen», gesteht Kate. Sie bereite sich nicht nur auf die Einbürgerung vor, sondern sei auch wieder offen für eine neue Beziehung. Es gäbe da auch eine interessante Frau, mit der sie sich eine Zukunft vorstellen könnte. «Ich träume von einer romantischen, traditionellen Heiratsfeier im Schloss Rapperswil.»
Benjamin Schmid
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