Maria Pappa
Die digitale Plattform des «Weges der Vielfalt» steht ab sofort bereit.
Jost Schneider, 75, aus St. Gallen, begann seine Karriere als Primarlehrer mit einer Leidenschaft für Biologie und die heimische Tierwelt. Seine Faszination für Tiere führte ihn zur Fotografie und schliesslich zur Naturfilmerei. Heute ist er ein renommierter Tierdokumentarfilmer, der für seine einfühlsamen und respektvollen Aufnahmen bekannt ist.
Dokumentation Jost Schneider wuchs in St.Gallen-St. Georgen auf, wo der Wattbach, der Ringelbergwald und der Freudenbergwald seine bevorzugten Streifgebiete während der Schulzeit waren. «Seit ich denken kann, haben mich Tiere fasziniert», erzählt Schneider und lehnt sich in seinem Stuhl zurück. «Schon als Kind verbrachte ich Stunden im Wald, beobachtete Rehe, Vögel und Insekten. Die Natur hat mich nie losgelassen.» Seine berufliche Laufbahn begann er als Lehrer, doch seine Leidenschaft für die Natur führte ihn bald darüber hinaus. Zusätzlich zu seinem Unterricht absolvierte er ein Teilstudium in Biologie. «Ich wollte meinen Schülern die Natur nicht nur aus Büchern beibringen, sondern sie erleben lassen.» Schon als Jugendlicher begann er zu fotografieren, merkte aber schnell, dass Fotos oft nicht ausreichen, um Tierverhalten spannend zu dokumentieren. «Ein Bild zeigt nur einen Moment. Aber was passiert davor? Was danach? Erst durch Filmaufnahmen lassen sich Storys vom Sozialverhalten der Tiere erzählen», erklärt er. Heute arbeitet er seit zwölf Jahren intensiv als Tierfilmer. Auch schon für BBC war er als Kameramann gefragt. Aktuell beteiligt er sich als Kameramann an der vierteiligen 3sat-Produktion «Wunderwelt Schweiz».
Schneiders Augen leuchten, als er von einem seiner bewegendsten Erlebnisse erzählt. «Ich habe ein Jahr lang an einem Film über Steinböcke gearbeitet, immer wieder drehte ich in verschiedenen Regionen der Alpen. Und dann geschah das Unglaubliche.» Einen ganzen Tag lang stand er in einem steilen Felsabhang, regungslos, die Kamera bereit. Er beschreibt, wie er vorsichtig seine Bewegungen minimierte, damit ihn die Steingeiss als Teil der Umgebung wahrnahm. «Und dann – vor meinen Augen – brachte sie ihr Junges zur Welt.» Ein solcher Moment sei ein Geschenk, sagt Schneider. «Das kann man nicht planen. Das ist pures Glück.»
Die Arbeit als Tierfilmer sei voller Herausforderungen. «Tiere sind keine Schauspieler. Sie tun, was ihnen passt, nicht, was wir wollen», erklärt Schneider lachend. Ein guter Tierfilmer müsse sich in die Tiere hineinversetzen, ihr Verhalten deuten und sich ihnen mit Geduld und Respekt nähern. «Manchmal sitzt man stundenlang und nichts passiert», gibt er zu. «Aber dann gibt es diese magischen Momente, für die sich jedes Warten lohnt.» Einer dieser Augenblicke kam völlig unerwartet während einer Mittagspause. «Ich sass im Gras beim Lunch, als plötzlich eine Wieselmutter auftauchte – nur wenige Meter entfernt. Sie vollführte wilde Sprünge, versuchte, ihr Junges aus der Höhle zu ziehen. Ich konnte diese Szene direkt vom ‚Mittagstisch‘ aus filmen. Solche Zufälle sind unbezahlbar.» Doch nicht immer läuft alles nach Plan. «Man kann mit einer bestimmten Aufnahme im Kopf losziehen – und am Ende etwas völlig anderes filmen», sagt Schneider, der sich als Jäger und Sammler sieht: Er wisse nie, was er mit nach Hause bringe. Vielleicht ist es eine Gams, vielleicht ein Apollofalter auf einer Alpenblume oder eine besonders beeindruckende Wolkenformation. Die Natur hält immer Überraschungen bereit.
Die Möglichkeiten für Naturfilmer haben sich in den letzten Jahren stark verändert. «Früher waren wir auf grosse, schwere Kameras angewiesen», erinnert sich Schneider. «Heute gibt es Drohnen, die uns spektakuläre Luftaufnahmen ermöglichen, oder stabilisierte Kameras für ruckelfreie Aufnahmen aus fahrenden Fahrzeugen heraus.» Besonders hilfreich sind Wildkameras. «Sie ermöglichen uns, Tiere zu filmen, ohne sie zu stören. Für meinen Film über Dachse war das mein wichtigstes Werkzeug. Mit unsichtbarem Infrarotlicht konnte ich ihr geheimes Leben einfangen – ohne dass sie es merkten.»
Nicht alle Tierfilmer gehen mit derselben Zurückhaltung an ihre Arbeit heran. «Es gibt leider Leute, die Szenen manipulieren, nur um eine spektakuläre Aufnahme zu bekommen. Das verurteile ich aufs Schärfste», sagt Schneider entschieden. Für ihn ist klar: Wenn ein Tier nicht will, dann will es nicht. Dann drehe er etwas anderes. Der Schutz der Natur ist ihm ein wichtiges Anliegen. «Manchmal sagen Bilder mehr als Worte. Wenn ich filmen kann, wie Gämsen mühsam durch tiefen Schnee flüchten, weil Skifahrer abseits der Pisten unterwegs sind – dann versteht jeder, wie sensibel unsere Natur ist.»
Neben den Bildern ist die Musik für Schneider eines der wichtigsten Elemente eines Films. «Ich verbringe Tage damit, die passende Musik auszuwählen. Sie muss die Szene unterstützen, Spannung aufbauen oder Emotionen verstärken.» Manche Naturfilme kommen ganz ohne Kommentar aus – nur mit Musik und Bildern. «Die Zuschauenden sollen fühlen, nicht nur hören, was ich ihnen erzählen will.» Trotz seiner langen Karriere hat Schneider noch viele Träume. «Ich würde unglaublich gerne filmen, wie ein Luchs- oder Wolf seine Beute jagt. Nicht wegen des Erfolgs, sondern wegen des Kampfes. Viele denken, Raubtiere haben es leicht – aber das stimmt nicht. Die meisten ihrer Jagdversuche scheitern. Das zu dokumentieren, wäre faszinierend.» Auch ein Film über Rothirsche oder Gämsen steht auf seiner Wunschliste. Seit Jahren filmt und sammelt er Material, woraus irgendwann eine Geschichte wird.
Wer Schneiders neueste Arbeit sehen will, hat bald Gelegenheit dazu. Diesen Samstag, 15. Februar, 13 Uhr, zeigt er seinen neuesten Film «Dachsgeheimnisse» bei den NaturVision Filmtagen im Naturmuseum St. Gallen. «Dachse sind faszinierende Tiere», sagt er. «Kaum jemand bekommt sie zu Gesicht, und doch leben sie mitten unter uns.» Er hofft, dass seine Filme die Menschen für die Natur sensibilisieren. «Ich möchte ihnen zeigen, wie faszinierend und wertvoll unsere heimische Tierwelt ist. Denn nur was wir kennen, schützen wir.» Mit einem Lächeln fügt er hinzu: «Und wer weiss – vielleicht inspiriere ich den einen oder anderen, selbst nach draussen zu gehen und genauer hinzuschauen. Die Natur steckt voller Wunder.» Weitere Infos unter: www.naturmuseumsg.ch/aktuell-oben
Von Benjamin Schmid
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