Ursula Forrer
feierte mit der Stiftung Zeitvorsorge das 10-Jahres-Jubiläum.
Relief Notkers des Deutschen an der Tür zur Stiftskirche St.Gallen (Fantasieporträt). z.V.g.
Erstmals sind die vollständigen Lehrschriften von Notker dem Deutschen (um 950 bis 1022) in Neuhochdeutsch erschienen. Die Edition im Schwabe-Verlag Basel («Notker der Deutsche – die Lehrschriften») mit über 500 Seiten vereinigt Werke für den Unterricht, die Notker teils in Althochdeutsch, teils in Latein verfasst hatte.
Geschichte Inhaltlich erstrecken sich die Werke von einer ausführlichen Grammatik über die Redekunst bis hin zu naturwissenschaftlichen Erkenntnissen und philosophischen Gedanken. Die Übersetzungen und Anmerkungen basieren auf den Vorbereitungen, die Stefan Sonderegger veröffentlichen wollte. Eine erste vorgesehene Drucklegung vor Jahrzehnten konnte nicht realisiert werden, eine umfassendere konnte er nicht mehr vollenden, weil er 2017 verstarb. Nun haben sich unter der Leitung von Jessica Ammer und Andreas Nievergelt und mit Unterstützung durch Stiftsbibliothekar Cornel Dora sieben Expertinnen und Experten zusammengefunden, um das Werk zu realisieren, neue Übersetzungen vorzunehmen und damit das grossartige Lehrwerk des hochbegabten Lehrers aus dem Frühmittelalter zu erschliessen. Wertvoll sind vor allem auch die umfassenden Einführungen und Anmerkungen, die wesentlich zum Verständnis beitragen. Die Lehrschriften werden erstmals alle im Original und in neuhochdeutscher Übersetzung geboten. Autorentext und Übersetzung stehen sich auf den Doppelseiten übersichtlich gegenüber. Der Textausgabe mit erstklassiger Übersetzung wird jeweils eine aufschlussreiche Einleitung vorangestellt. Notkers Methode, anschauliche Beispiele für die abstrakten Lehrsätze einzufügen, macht das Lesen auch zu einem lehrreichen wie unterhaltsamen Erlebnis. Immer wieder staunt man über das umfassende Wissen Notkers in einer Zeit, als erst wenig schriftlich zur Verfügung stand. Er zitiert Texte aus der Bibel, aus dem alten Rom und aus dem antiken Griechenland. In beeindruckendem Mass wird durch dieses Werk aber auch das pädagogische Können Notkers deutlich. Er versteht es, komplizierte Zusammenhänge so zu vermitteln, dass ohne viel Vorwissen seinen Ausführungen Folge geleistet werden kann. So verwundert es nicht, dass Notkers Lehrtexte anfänglich grössere Ausstrahlung über St.Gallen hinaus gefunden haben als seine grossen Übersetzungswerke. Am Anfang steht ein Brief Notkers, den er wenige Jahre vor seinem Tod an Bischof Hugo von Sitten schrieb, der eine Werkübersicht enthielt. Sie deckt sich nicht mit den überlieferten Texten und lässt erkennen, dass Notker zum Beispiel auch arithmetische Lehrschriften verfasste, die uns nicht überliefert sind. Während sein St.Galler Grammatik-Traktat sehr stark ins Detail geht, gibt seine Redekunst auch noch heute gültige Leitlinien insbesondere für Gericht und Politik vor. Für Notker hat die Redekunst fünf Teile: Erfinderische Einbildungskraft, aufbauende Gliederung, Aneignung im Gedächtnis, sprachliche Gestaltung, Auftreten als Redner. Ebenso packend sind Notkers Lehrschriften zur Logik, Dialektik, Wahrredung, Definition und Musiklehre. Ganz spezifisch mit einer Einzelfrage befasst sich «Compuctus», nämlich mit den Grundlagen zur Osterfestberechnung.
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