Ramona Fiore
kämpft gegen das Aussterben der einheimischen Schmetterlinge.
Samuel Häne, Umweltingenieur und Projektleiter bei Pro Natura St.Gallen-Appenzell,
Bereits 2012 hat der Bundesrat die Revision des Natur- und Heimatschutzgesetzes NHG angekündigt, um die Biodiversität zu fördern. Im Interview erzählt Samuel Häne, Umweltingenieur und Projektleiter bei Pro Natura St.Gallen-Appenzell, wieso die Zeit drängt, weshalb eine Milchbüchli-Rechnung nicht hilft und warum die Sicherung der Biodiversität und Energieproduktion gut möglich ist.
Samuel Häne, wie schlecht geht es der Natur in der Schweiz?
Gemäss wissenschaftlichen Kriterien sind in der Schweiz ein Drittel der Tier- und Pflanzenarten und die Hälfte der Lebensraumtypen gefährdet. Damit sind auch die Leistungen der Biodiversität für Wirtschaft und Gesellschaft bedroht, denn die biologische Vielfalt ist unsere Lebensgrundlage – dank den Pflanzen haben wir saubere Luft, dank den Bestäubern Früchte und Beeren, dank gesundem, fruchtbarem Boden sauberes Wasser und gute Ernteerträge.
Wie steht die Schweiz punkto Biodiversität im internationalen Vergleich da?
Die Gefährdung in der Schweiz ist grösser als in anderen Ländern. Beim Anteil der Schutzgebiete an der Landesfläche ist die Schweiz das Schlusslicht der untersuchten rund 30 Länder Europas. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat in ihrem letzten Umweltprüfbericht die Schweiz gerügt, dass ihre Schutzgebiete zu klein und zu wenig vernetzt sind und dass sie zu den Ländern mit den meisten gefährdeten Arten gehört.
Wieso wurde die Biodiversitätsinitiative nötig?
Die Schweiz hat in den letzten Jahrzehnten zu wenig gemacht für ihre so wichtige Biodiversität. Der letzte grosse Schritt ist über vierzig Jahre her, als die Schweiz aufgrund der Volksinitiative zum Schutz der Moore (1987) die Biotope von nationaler Bedeutung schuf. Doch diese machen nur gerade 2,2 Prozent der Landesfläche aus und sind wieder unter grossem Druck. Die Biodiversität in der Schweiz ist so gefährdet wie noch nie: Deshalb braucht es die Biodiversitätsinitiative. Sie verstärkt den Schutz der Biodiversität, der Landschaft und des baukulturellen Erbes in der Verfassung, bewahrt, was bereits unter Schutz steht, und schont, was ausserhalb geschützter Objekte liegt, und sorgt für die erforderlichen Flächen, Mittel und Instrumente für die Biodiversität.
Verschiedene Umweltschutzorganisationen richten einen Appell an den Ständerat. Wird dieser Früchte tragen?
Der Appell ist nur ein Mittel, um die Betroffenheit der Bevölkerung zu zeigen. Innert eines Monats sind bereits fast 40'000 Unterschriften zusammengekommen, was zeigt, dass sich die Bevölkerung Sorgen macht. Darüber hinaus: Die Ständerätinnen und Ständeräte vertreten die Interessen der Kantone, und diese haben sich klar für die NHG-Revision ausgesprochen. Zudem können wir jetzt noch mit vergleichsweise moderaten finanziellen Mitteln die Biodiversität retten. Denn der Bundesrat hat aufgezeigt, dass es uns teuer zu stehen kommt, wenn wir jetzt nicht handeln.
Was braucht es, um die Biodiversität nachhaltig zu fördern?
Dazu braucht es sicherlich Schutzgebiete. Für die Schweiz ist entscheidend, dass sie die richtigen Flächen sichert und das mit Qualität. Eine Milchbüchleinrechnung, in der man irgendwelche Flächen zusammenzählt, um einen Prozentsatz zu erreichen, sichert der Schweiz keine einzige der vielen Leistungen der biologischen Vielfalt für Wirtschaft und Gesellschaft. Das hat der Nationalrat erkannt und ein starres Flächenziel gestrichen.
Wieso braucht die Schweiz mehr Biodiversitätsfläche? Reicht eine Qualitätssteigerung der bestehenden Fläche nicht aus?
Die Wissenschaft ist sich einig, dass es mehr Schutzgebiete braucht. Sogar die OECD hat der Schweiz vorgehalten, dass ihre Schutzgebiete zu klein, zu wenig gut unterhalten und zu wenig vernetzt sind. Der Mangel an ausreichenden Schutzgebieten ist einer der Hauptfaktoren, weshalb die Schweiz so viele gefährdete Arten aufweist. Die bestehenden Schutzgebiete endlich so zu unterhalten, dass die Qualität gesichert ist, ist wichtig, reicht aber allein nicht aus.
Welchen Zusammenhang gibt es zwischen der Biodiversitäts- und der Energiekrise?
Die Klima- und die Biodiversitätskrise sind die grössten Herausforderungen für die Erde. Die Sicherung und Umstellung der Energieversorgung weg von Öl, Kohle und Atom führt zu einem grossen Bedarf an Stromproduktion. Dieser kann gedeckt werden, ohne die wertvollen Gebiete und naturnahen Lebensräume in der Schweiz zu zerstören, insbesondere mit Solar auf bestehenden Gebäuden und Infrastruktur. Gross ist auch das Potenzial, die heutige Energieverschwendung zu reduzieren.
Wieso gefährdet mehr Biodiversität die Schweizer Landwirtschaft und Versorgungssicherheit?
Das Gegenteil ist der Fall. Für die Versorgungssicherheit ist die Biodiversität nötig, sie ist unsere Lebensgrundlage. Die Landwirtschaft hat nach der Bundesverfassung drei Aufträge: sichere Versorgung der Bevölkerung, Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen und Pflege der Kulturlandschaft und dezentrale Besiedlung des Landes. Die aktuelle intensivste Bodennutzung mit Einsatz von vielen Düngern und Pestiziden, um möglichst viel zu produzieren, gefährdet die langfristige Versorgungssicherheit. Eine angepasste Bewirtschaftung unter Berücksichtigung der Biodiversität ist die beste Versicherung für die Versorgung der Schweiz.
Die SVP argumentiert, dass die Masseneinwanderung zur enormen Bautätigkeit und letztlich zum Verlust von Biodiversität führt – wie sehen Sie das?
Dank der von den Umweltorganisationen angestossenen Revision des Raumplanungsgesetzes erfolgt das Wachstum der Siedlungen verstärkt nach innen. Das sollte den Verlust an unüberbautem Land reduzieren. Der grösste Teil des Bodenverlustes geht heute sogar von der Landwirtschaft aus. Der Regierungsrat des Kantons St. Gallen sagte schon vor einigen Jahren, dass insbesondere auch landwirtschaftliche Projekte (Scheunen und Stallbauten, befestigte Hofplätze, Intensivlandwirtschaft usw.) in erheblichem Umfang zum Verlust von Fruchtfolgefläche beigetragen haben. Im Kanton Thurgau schätzt der Regierungsrat, dass 85 Prozent des Kulturlandverlustes ausserhalb der Bauzonen (jährlich ca. 9 Hektare) durch landwirtschaftliche Gebäude verursacht werden. Das hat mit Fragen der Einwanderung nichts zu tun.
Interview: Benjamin Schmid
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