Gabriela Eberhard
hat eine Interpellation zur Befalggung der Stadt zur Pride 2025 eingereicht.
1898 tauchten in St.Gallen die ersten Autos auf, die man «Kochkisten» nannte. Sie lösten keineswegs Begeisterung aus und der Gemeinderat verlangte vom Regierungsrat energisch kantonale Vorschriften, die dann mit einiger Verzögerung erlassen wurden. St.Gallen brachte aber auch Autopioniere hervor, die zum weltweiten Siegeszug des Autos beigetragen haben.
Autogeschichte Das erste Automobil in der Ostschweiz erwarb 1898 der Kaufmann Antoine Dufour in Rheineck. «Als die Kunde von der Ankunft des Wagens aus Lyon blitzartig sich verbreitet hatte, sammelte sich viel Volk beim Bahnhof in Rheineck an», berichtet der Historiker Erwin Bucher über dieses Ereignis. «Mit zugkräftigen Pferden war der Wagen bald ausgeladen und das bereitgestellte Petrol eingefüllt.» Doch es ergaben sich bei der Inbetriebnahme grosse Schwierigkeiten. Das Fahrzeug französischer Herkunft, hergestellt von Rochet-Schneider in Lyon, war mit einer Zollquittung begleitet, die auf eine «voiture à pétrole» lautete. Alle Hebel wurden vorschriftsgemäss in Bewegung gesetzt, aber nichts half, den Wagen vom Fleck zu bringen, bis nach drei Tagen ein Mechaniker aus Basel das Petroleum durch Benzin ersetzte. Antoine Dufour war übrigens der erste Präsident der 1904 gegründeten Sektion St.Gallen-Appenzell des Automobilclubs der Schweiz (ACS). Dieser Club war zunächst eine exklusive Einrichtung. Mitglieder waren Kaufleute, Ingenieure, Ärzte und Hoteliers, die gesellige Ausflüge, aber auch Autorennen organisierten. Trotz diverser Pannen, die er erlebte, engagierte sich Dufour mit Leib und Seele für die neue Erfindung. 1925 wurde er Zentralpräsident des ACS. Am Herzen lag ihm auch die Förderung des Automobildienstes in der Armee, in der er Oberleutnant wurde.
Als Dufour das erste Auto in der Ostschweiz erwarb, soll gemäss August Emil Bentele auch das erste Auto in St.Gallen aufgetaucht sein. Die erste «Benzindroschke» soll mit so viel Geräusch über das holprige «Hechtpflaster» gefahren sein, dass die Pferde der Lohnkutscher, welche ihre Wagen gegenüber dem Hotel aufgestellt hatten, kaum zu beruhigen waren. Dieses Fahrzeug, das hinten einen liegenden Zylinder aufwies, wurde im Volksmund «Kochkiste» genannt und stammte von der Firma Weber in Uster. Nach einer weiteren Quelle soll J. Hofstetter das erste Auto in St.Gallen gefahren haben. Lange scheint in St.Gallen kein Auto mehr aufgetaucht zu sein, denn Schriftsteller Karl Schölly setzt in seinen «Bildersälen» das Auftauchen eines Autos viel später an. In seinen Erinnerungen an die Bubenjahre schreibt er: «Zu jener Zeit tauchte der erste selbstfahrende Wagen in unserer Stadt auf, das Benzin-Automobil des Fensterputzers Leitner, dessen Sohn wir in der Ferienkolonie Käsern kennengelernt hatten und der meiner Schwester Gertrud dort den Hof machte (…).» Im Adressbuch stand: «Erstes St.Galler Reinigungsinstitut».
Schon früh befassten sich die Behörden aufgrund von Beanstandungen aus der Bevölkerung mit dem Auto. 1900 ersuchte der St.Galler Gemeinderat den Regierungsrat, dringend «eine kantonale Verordnung betreffend die Motorfahrzeuge» zu erlassen. Doch die kantonale Exekutive unternahm vorerst nichts in dieser Richtung. Zwei Jahre später doppelte der Gemeinderat nach: «Der Automobilverkehr nimmt beständig zu und die Unglücksfälle, welche durch unsinniges Fahren veranlasst werden, bleiben nicht aus. Das Präsidium hat zwar die Polizeidirektion beauftragt, vorläufig alle hier domizilierten Besitzer von Motorfahrzeugen zum Einhalten einer mässigen Geschwindigkeit aufzufordern. Allein damit ist das Publikum noch keineswegs gesichert gegenüber den fremden Automobilfahrern.» 1903 trat dann endlich die «Vereinbarung betreffend den Motorwagen- und Fahrradverkehr» als kantonale Verordnung in Kraft. Doch die Vereinbarung basierte noch stark auf der Gemeindeautonomie. Erst 1933 trat das erste eidgenössische Motorfahrzeuggesetz in Kraft und sorgte für schweizerisch einheitliche Regelungen.
Obwohl das «Wunderwerk der Technik» mit Neugierde aufgenommen wurde, fand das Auto in der sanktgallischen Bevölkerung nur wenig Gefallen. Das noch pannenanfällige Fahrzeug diente dennoch auch wegen des hohen Preises bald als Statussymbol der vermögenden Oberschicht. Obwohl 1913 erst 339 Autos im Kanton verkehrten, stiessen die Benzingefährte weiterhin auf Skepsis. Einige Dörfer im Kanton gestatteten nur fünf Kilometer in der Stunde, damit der Polizist mit dem Fahrrad überholen konnte. 1911 verlangten die Konservativen im Grossen Rat ein Sonntagsfahrverbot. Lange wurde die Motion nicht behandelt, dann aber bestand von 1919 bis 1924 an Sonntagnachmittagen von Mai bis September ein Fahrverbot. Die Fahrsperre fiel auf Druck des Gastgewerbes.
Schon um die Jahrhundertwende gründeten die Herren Widler und Würsch in St.Gallen eine der ersten Automobilgaragen in der Schweiz, die über hundert Jahre bestehen konnte. Als «Stahlgarage» war das Unternehmen noch bis vor wenigen Jahren in St.Gallen aktiv. Die zweite Generation, geführt durch die Gebrüder Werner und Alwin Widler, vertraten so berühmte Marken wie Fiat/Lancia, Triumph, Studebaker und Bugatti. Zuletzt war die Firma führende Renault-Vertretung. Bereits 1902 wurde der erste Autokurs in der Ostschweiz eröffnet, und zwar die Verbindung zwischen Gossau – Arnegg – Waldkirch – Bernhardzell – Kronbühl – Heiligkreuz/St.Gallen. Weitere Autokurse in der Region folgten in den 1920er-Jahren.
Über hundert Jahre bestand an der Fürstenlandstrasse in St.Gallen die Carrosserie Höhener. Diese stellte ursprünglich Pferdegespanne her. Als dann die Motoren aufkamen, entwarf Höhener auch «selbstfahrende Droschken». Er liess sich die Chassis mit Motoren anliefern und setzte eine Karosserie samt der gesamten Ausstattung darauf. Das Schlusslicht war anfänglich eine kleine Petrollampe. Bald hatte Höhener einen Namen für besonders elegante Fahrzeuge, weshalb er «St.Galler Autos» in einem weiten Umkreis verkaufen konnte. Alle Fahrzeuge waren Einzelanfertigungen und der Kunde konnte Wünsche noch und noch dazu äussern.
Seit über hundert Jahren, seit 1916, besteht in St.Gallen das Taxi-Unternehmen Herold. Der Firmengründer Karl Herold hatte damals vor allem lange Fahrten über Land auszuführen, denn wohlhabende Leute verreisten mit dem Taxi in die Ferien. Er hatte aber auch viele Pannen während den Fahrten zu beheben. Den ersten Autocar in der Stadt soll der Gastwirt und Autotransportunternehmer Johann Rauch 1928 erworben haben. Die erste Autofahrerin in St.Gallen soll Engelina Grünenfelder gewesen sein, die an der St.Leonhardstrasse 4 erfolgreich ein Geschäft für Damenunterwäsche und Korsetts sowie orthopädische Stützhilfen geführt hatte. Mit ihrem Auto fuhr sie jeweils ins Tessin zu ihrem Ferienhaus.
1898, als sich der erste Benzinmotorwagen auf den Strassen der Stadt St.Gallen bewegte, nämlich jener von Antoine Dufour, nahm Arnold Billwiller mit einem Dampfmobil ein ganz besonderes Fahrzeug in Betrieb. Es wurde wie ein Dampfschiff mit Kohle betrieben. Dieses sehr seltene Gefährt wurde 1903 wieder verkauft. Der Lärm, den seine Eisenräder auf den ungepflästerten Strassen verursachten, soll schlicht zu gross gewesen sein. Allgemein verschwanden Dampfmobile rasch wieder aus den Strassen. 1909 sollen in St.Gallen nur etwa 50 Autos betrieben worden sein. Der Siegeszug fand also erst später in den 1920er-Jahren statt.
Von Franz Welte
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