Christian Hettkamp
ist im Theater St.Gallen als Herzkönigin zu sehen.
Ein Leben im Kloster mag man sich streng und eintönig vorstellen. Ist das wirklich so? Wie ist es für eine junge Frau, fernab von Social Media und Partys still am Gebet teilzunehmen? Ich habe den Versuch gewagt und während zwei Tagen im Kloster Notkersegg in St.Gallen gelebt.
Notkersegg Es ist 6.20 Uhr. Ich bin auf dem Weg ins Kloster, um zwei Tage lang mit den sieben Schwestern der Notkersegg zu leben. Aus dem Seitenfenster des Autos kann ich die alten Mauern des Klosters sehen. Die Sonne ist bereits aufgegangen und taucht das Gebäude in ein warmes Licht. Ich weiss nicht, was mich erwartet. Was sind wohl die Gefühle einer jungen Frau, die sich für das Leben als Ordensschwester entschieden hat und die Strecke, von der Stadt ins Kloster, zum letzten Mal «in Freiheit» zurücklegt?
An der Pforte werde ich bereits von Schwester Domenica, der mit 38 Jahren Jüngsten im Kloster, erwartet. Sie begrüsst mich lächelnd und zeigt mir das Zimmer, in dem ich für die nächsten zwei Tage wohnen werde. Ein Pult, ein Stuhl, ein kleines Bett und eine Lampe - es ist mit dem Nötigsten ausgestattet. Ich lege meine Sachen ab und trage nur noch meine Notizsachen bei mir. Mein Smartphone liegt – ausgeschaltet – irgendwo in meiner Tasche. Für meine Zeit im Kloster werde ich ohne Internet auskommen müssen, denn ich möchte den Alltag einer Schwester in der Notkersegg möglichst realistisch nachempfinden. Wie ich später erfahre, legen die Kapuzinerinnen ein Gelübde ab, in dem sie unter anderem Armut versprechen. Somit liegt es nahe, dass Luxusgüter wie Handys an diesem Ort selten zu finden sind.
Kurz vor sieben betreten wir das Gebetshaus. Die Kniebeuge und das Zeichnen des Kreuzes mit Weihwasser kommen ein wenig überraschend, auch wenn ich das eigentlich kenne. Ich bin zu beschäftigt mit dem Betrachten des hohen Raumes und den freundlich lächelnden Gesichtern der Schwestern, die vor uns eingetroffen sind. Mir wird flüsternd ein Platz zugewiesen und kurz erklärt, wie ich die Gebetsbücher, die bereits aufgeschlagen vor mir liegen, verwenden soll.
Die Klänge des Morgenlobes sind mir nicht vertraut, mitsingen ist schwierig. Und zum ersten Mal höre ich das «Vater Unser» auf Lateinisch. Die Melodie ist mir vertraut. Nach etwa einer halben Stunde ist das Morgengebet beendet. Die Schwestern setzen oder knien sich hin. Eine weitere halbe Stunde beten die Schwestern still. Kein Wort fällt. Später folge ich in das Speisezimmer. Flüsternd werde ich begrüsst. Nachdem wir gebetet und uns hingesetzt haben, gibt es Kaffee, Brot, Marmelade und Käse. Ovomaltine steht ebenfalls auf dem Tisch. Etwas verwundert bemerke ich, dass alle schweigen. Ich habe bereits gehört, dass dies bei den Mahlzeiten üblich sei, aber dennoch ist es eine ungewohnte Erfahrung, gilt das Essen doch als sozialer Akt.
«Zur Ehre von Rebecca werden wir jetzt noch ein wenig sprechen», bricht Schwester Manuela, die Mutter und Leiterin der Gemeinschaft, das Schweigen. Fragen und Begrüssungen strömen über mich herein.
Das Tagesprogramm im Kloster ist straff. So falle ich nach zwei Arbeitsblöcken zwei Mahlzeiten und weiteren Stunden im Gebetshaus müde ins Bett. Üblicherweise würde ich vor dem Einschlafen noch eine Weile meine Social Media Accounts durchscrollen. Bis jetzt war ich beschäftigt mit den vielen Eindrücken und Erlebnissen. Nun fehlen mir mein Smartphone und die Kontakte zur Aussenwelt doch ein wenig. Doch ich bin so müde, dass ich rasch einschlafe.
Der Wecker klingelt. Es ist 5.15 Uhr. Schwester Domenica sagte mir am Vorabend, dass es auch in Ordnung wäre, wenn ich erst der Heiligen Messe um sieben Uhr beiwohnen würde. Aber ich möchte hier alles erleben. So tapse ich noch ein wenig müde zum Gebetshaus, um dem Morgenlob erneut beizuwohnen. «Schön, bist du wach, ganz tapfer», flüstert mir Schwester Rita zu, die sich neben mich gesetzt hat. Sie ist bereits seit 66 Jahren im Kloster Notkersegg. Sie ist es auch, die mir rät, die Meditation ausfallen zu lassen und stattdessen an die frische Luft zu gehen, bevor um sieben Uhr die heilige Messe anfängt. Ich bin froh, dass ich mir die Freiheit nehmen darf und durch die kühle Morgenluft wacher werde.
Während den letzten Stunden im Gebetshaus fällt es mir immer leichter herauszufinden, bei welcher Stelle im Buch sich die Schwestern gerade befinden. Dank kleinen Zettelchen, die mir Schwester Domenica gibt, kann ich sogar einige lateinische Gebete mitsprechen. Ich erinnere mich an meine ersten Momente zurück, in denen ich nicht wusste, was ich während den Gebeten machen sollte und wie ich mich konzentrieren könnte. Nun merke ich, dass ich mich langsam an den Rhythmus der Gesänge und Worte gewöhne und sich eine Ruhe in mir ausbreitet. Ich fühle mich ein wenig wie bei der Schlussentspannung meines Power-Yoga-Kurses. Nur, dass ich zuvor keine anstrengenden Übungen machen muss und ich nicht schwitze. Es ist eine Art Meditation, die ich hier geniessen kann und das tue ich nun auch.
Ich weiss nicht, ob ich mein Leben so verbringen könnte. Ein Leben ohne Familie, ohne Partner und mit strengen Regeln, ist keines, das ich mir wünsche. Dennoch scheinen die Schwestern, die ich hier kennenlernen durfte, unglaublich zufrieden zu sein. Sie sind sich alle einig, dass die Gemeinschaft mit den Mitschwestern und natürlich mit Gott eine Familie und ein Zuhause für sie geworden ist.
Mein Abschied von den Schwestern ist schwerer als gedacht. Ich freue mich auf mein eigenes Bett und mein gewohntes Umfeld. Trotzdem vermisse ich die Zeit mit den Schwestern schon jetzt. In den letzten beiden Tagen durfte ich viel Güte erfahren und an der Lebensweisheit der Schwestern teilhaben. Anders als auf den Strassen in der Stadt oder im täglichen ÖV-Stress ist hier alles entschleunigt und alle scheinen zufrieden zu sein. Das färbt ab. Ich fühle mich nach dieser Zeit erholt und glücklich, obwohl ich weiss, dass bereits die nächsten Themen und Termine auf mich warten.
Im Tram lasse ich die Zeit im Kloster noch einmal Revue passieren. Ich sitze mit einem Lächeln auf den Lippen und einer Klosterkerze in den Händen in der Appenzeller Bahn und fahre in die Stadt und somit in den Alltag zurück.
Von Rebecca Schmid
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