«Gleichstellung darf auch mal wehtun»
Der St.Galler Cem Kirmizitoprak spielt in «Wilhelm Tell» mit
Über Umwege ist der St.Galler Politiker und Inklusionsagent Cem Kirmizitoprak zu seinem Job beim Zürcher Schauspielhaus gelangt. Kirmizitoprak, der wegen einer zerebralen Tetraspastik seit seiner Geburt im Rollstuhl sitzt, spielt bei Milo Raus Theater «Wilhelm Tell» mit. Am Samstag findet die Premiere statt.
Cem Kirmizitoprak, wie kam es dazu, dass Sie nun am Schauspielhaus Zürich bei «Wilhelm Tell» mitspielen?
Ich wurde durch einen Parteikollegen empfohlen, welcher mit dem St.Galler Regisseur Milo Rau befreundet ist. Denn Rau war auf der Suche nach «einem radikalen Politiker». (lacht) Anschliessend wurde ich zum Casting eingeladen - dort wurde schnell klar, dass ich mitspielen werde.
Was hat Sie zur Zusage bewogen?
Ich würde nicht bei jedem zusagen. Doch ich habe gemerkt, dass Milo Rau nicht einfach nur ein Theaterstück umsetzen, sondern eine politische Aussage rüberbringen möchte. Das Stück ist eine Abbildung der heutigen Gesellschaft – so sind Laien- aber auch Profi-Schauspieler dabei, ebenso ein «Sans-papier». Ausserdem». versuche ich als Politiker immer, auch hinter die Kulissen zu schauen und anschliessend etwas zu verändern. Man hört ja oft, dass Personen im Kulturbereich keine guten Arbeitsbedingungen hätten – dies kann ich mir nun genau anschauen. All dies hat mich motiviert.
Wen werden Sie spielen und wie oft wird geprobt?
Ich werde einen Hochzeitsredner spielen. Ein Mensch, der andere motiviert, ihre Rechte zu erkämpfen. Meine Rede wird unteranderem von Einigkeit handeln – denn wenn man sich nicht einig ist, kann man auch niemandem helfen. So sind wir wieder bei meiner Arbeit als Politiker. Geprobt wird von Montag bis Freitag, jeweils sieben Stunden am Tag. Seit zwei Wochen proben wir zusätzlich noch am Samstag.
Müssen Sie dabei viel Text lernen?
Für mich als Politiker ist eine A4-Seite Text nicht viel. (lacht) Es ist aber trotzdem anspruchsvoll. Am besten kann ich den Text, wenn Publikum dabei ist.
Wie lässt sich der Rollstuhl mit dem Bühnenauftritt vereinbaren?
Es ist umständlich, doch es geht. Während den Proben kann man die Vorderbühne herunterlassen, bei den Vorstellungen werde ich über einen Umweg über einen Transportlift hochgefahren. Auch bei der Maske stosse ich auf Hindernisse: Dort muss ich als einziger im unteren Stock geschminkt werden, da es zum richtigen Masken-Zimmer keinen Lift gibt.
Und wie gefällt Ihnen die Arbeit am Schauspielhaus?
Die Theatergesellschaft ist einfach mega cool und offen. Man merkt, dass alle Beteiligten Freude an der Arbeit haben. Man darf einfach wieder einmal «Kind» sein. Ausserdem finde ich es besonders toll, dass ich genauso behandelt werde wie jeder andere – niemand hier ist «behindert», sondern alle einfach nur Mensch. Milo Rau schimpft beispielsweise manchmal mit mir, wenn der Text nicht perfekt sitzt. Das finde ich gut, denn Gleichstellung darf auch mal wehtun. Die Arbeit im Schauspielhaus motiviert mich ausserdem, endlich mein schon lange geplantes Theaterstück zum Thema «Sexualität und Beeinträchtigung» umzusetzen – bleibt gespannt!
Wie ist die Stimmung momentan? Freuen Sie sich schon auf die Premiere am Samstag oder sind Sie vor allem nervös?
Ich bin überhaupt nicht nervös. Ich freue mich schon sehr auf die Premiere. Sobald Publikum da ist, wird der Text von alleine raussprudeln. Ich freue mich auf alle Besuchenden!
Von Cynthia Sieber