«Ein Wunder, dass ich dieses Drecksloch überlebt habe»
Im Rahmen des Projekts «St.Gallen erkunden für einen guten Zweck» der Onlineplattform Amiona zeigten der ehemalige Obdachlose Mindi sowie Dirk Rohweder, Leiter der Gassenküche, ihr persönliches St.Gallen.
St.Gallen «Ich habe viele Freunde an die Sucht oder durch Krankheiten verloren», erzählt Mindi, als er vor der St.Mangen Kirche steht. Hier stand einst das «Bienehüsli», ein Angebot der Stiftung Suchthilfe, in dem Drogenabhängige unter anderem mit sauberen Spritzen versorgt wurden.
Auch Mindi hielt sich in den 80er Jahren hier auf. «Es grenzt an ein Wunder, dass ich dieses Drecksloch überlebt habe», sagt er zu dieser Zeit. Mindi ist ein ehemaliger Obdachloser. Als er nach seinem richtigen Namen gefragt wird, sagt er nur: «Mindi kommt von Menderes. Das reicht völlig. Die, die mich kennen, wissen, wer ich bin.» Auch heute konsumiert Mindi noch Heroin, allerdings kontrolliert und legal. Zweimal täglich bekommt er bei der Heroinabgabe in St.Gallen eine Dosis von 25 Millilitern gespritzt. Seine tägliche Dosis schrumpfte in den vergangenen fünf Jahren von 250 auf 50 Milliliter. Bis hierher war es ein weiter Weg für den 51-Jährigen, der laut eigener Aussage «mehr als dreissig Jahre Erfahrung in der Drogenszene» hat.
Ein Zuhause in der Arche
Es ist ein Stadtrundgang der etwas anderen Art, der am Mittwoch vor einer Woche stattfand. Mindi und Dirk Rohweder, Leiter der Gassenküche St.Gallen, zeigten die Stadt aus der Sicht eines Obdachlosen. Der Rundgang fand unter dem Titel «St.Gallen erkunden für einen guten Zweck» der Onlineplattform Amiona statt. Die erste Station des Rundgangs war «Die Arche» – Mindis Zuhause. Eine Einrichtung der Stiftung Suchthilfe, die Suchtmittelabhängigen Menschen mit gesundheitlichen und psychosozialen Problemen einen geschützten Wohn- und Lebensraum bietet. Mindi erzählte viel aus seinem Leben, das er bis jetzt im Bienehüsli, im Schellenacker und schlussendlich in der Arche verbracht hat. In der Gruppe, bestehend aus Journalisten, den Veranstaltern von Amiona, einem Stadtparlamentarier der CVP, sowie anderweitig interessierten, wurden angeregte Diskussionen geführt.
Anonymität mitten in der Stadt
Der nächste Halt des Rundgangs war die Heroinabgabestelle mitten in der Stadt. Mindi erzählte, wie er zweimal am Tag zu fixen Zeiten sein Heroin gespritzt bekommt. Ihm gehe es damit gut, und er brauche auch nicht mehr. «Wenn ich verreise, bekomme ich Methadontabletten mit», erklärte der ehemalige Obdachlose, der trotz der warmen Temperaturen einen Pulli und eine dicke Jacke trägt. Um das Heroin zu bekommen, erklärte Dirk Rohweder, müsse man nachweisen, dass man schon verschiedene Entzüge gemacht habe, und dass eine Methadontherapie nichts gebracht habe. Es gäbe viele, die lieber Heroin als Methadon konsumieren würden, da Heroin im Gegensatz zu Methadon einen «Flash» hervorrufe.
Auf die Frage hin, ob Mindi nebenbei noch andere Suchtmittel konsumiere, antwortet er mit einem klaren Nein. Die Frau, die das fragte, sagte später hinter vorgehaltener Hand, sie könne ihm das leider nicht ganz glauben.
«Wir geben nicht jedem etwas»
Zwischen den Erzählungen von Mindi ergreift immer wieder Dirk Rohweder das Wort. Er ist seit 15 Jahren im Suchtbereich tätig und leitet heute die Gassenküche in St.Gallen. Diese sei unter den Bedürftigen sehr beliebt. «Ich mag sie lieber als den Katharinenhof. Die Leute in der Gassenküche sind gepflegter und dankbarer», sagte Mindi, als die Gruppe vor dem Katharinenhof Halt machte.
Beim Park bei der Kantonsschule angekommen, erklärten Dirk Rohweder und Mindi, wie das funktioniert, Süchtige und Schüler so nahe beieinander. «Es hat bisher noch nie Probleme zwischen den Schülern und den Drogenkonsumenten, die sich hier aufhalten, gegeben», sagte Dirk Rohweder. Mindi stimmte ihm zu: «Die Leute in der Szene geben so jungen Leuten auch keine Drogen ab und bieten sie ihnen schon gar keine an», erklärte er.
Ein sehr persönlicher Abschied
Der letzte Halt des Rundgangs war die Gassenküche - es ist Feierabend. «Jeden Tag verkaufen wir etwa 30 Portionen», erklärte Dirk Rohweder. Das Essen kostet drei Franken und wird jeweils von drei, vier Gästen selber gekocht. Pro Kocheinsatz, den sie leisten, erhalten sie 50 Franken. «Also das Essen hier ist wirklich super. Ausser wenn es etwas gibt, das ich nicht gern habe», schmunzelt Mindi. Die Gassenküche ist täglich von 11 bis 15 Uhr geöffnet.
Je länger der Rundgang dauert, umso nervöser wirkte Mindi. War er am Anfang noch ruhig und entspannt, merkte man gegen Schluss, dass die Zeit näher rückte, in der er jeweils sein Heroin bekommt. «Ich mache euch darauf aufmerksam, dass wir weiter müssen», sagte er mehr als einmal.
Am Schluss des Rundgangs in der Gassenküche erhielt Mindi seinen Lohn für den Rundgang, verabschiedete sich höflich von allen Teilnehmenden persönlich, ging wieder nach draussen und machte sich auf den Weg zur Heroinabgabe.
Ramona Koller