Gabriela Eberhard
hat eine Interpellation zur Befalggung der Stadt zur Pride 2025 eingereicht.
St.Galler Frauen kämpften schon früh für die Chancengleichheit im Berufsleben. Die Stadt wurde aber rasch durch andere Zentren eingeholt. Schon vor 500 Jahren bestand eine Mädchenschule. Die weiterführende Bildungsmöglichkeit für Frauen war vergleichsweise fortschrittlich ausgestattet. Doch lange blieb die gesellschaftliche Ungleichbehandlung bestehen.
Schulgeschichte 1883 gründete Elise Honegger, die Herausgeberin und Redaktorin der «Schweizer Frauen-Zeitung» den Frauenverband, der die Chancen von Frauen im Berufsleben stärken wollte. Erwähnt wurde eine städtische Mädchenschule schon 1524. Doch ist wenig über sie bekannt. Bereits im 17. Jahrhundert wurden Mädchen in «Maitlinschulen» unterrichtet. 1581 liess der Rat für die Mädchenschule ein eigenes Gebäude erbauen, das später als Frauenarbeitsschule diente. Das St.Galler Stadtbuch von 1673 bestimmte, dass der Besuch des Schulunterrichts für jedes Kind verbindlich ist, bis es Lesen und Schreiben könne und sich im Katechismus auskenne. Allerdings fiel die Schulung der weiblichen Jugend dürftiger aus als der Unterricht für Knaben. Die Arbeitskommission der Hilfsgesellschaft der Stadt St.Gallen gründete 1825 eine Freischule zur Erlernung der Handstickerei, die bis 1833 bestand. Dann wurde beschossen, die Stickereischule zu erweitern zu einer Arbeitsschule für arme Mädchen, deren Eltern das Schulgeld für die städtische Schule nicht aufbringen konnten.
Vor 200 Jahren wurde eine breite Schulreform realisiert, die dann auch zum ersten Kinderfest 1824 führte, sollen die Neuerungen doch von allen Schülerinnen und Schülern der Stadt gefeiert werden. Die Töchter blieben den Knaben gegenüber jedoch im Hintertreffen. Die beiden hauptamtlichen Lehrkräfte hatten für die Hilfskräfte selbst zu sorgen und diese auch aus ihrem Gehalt zu entschädigen. Die Schulzeit dauerte je drei Jahre, sodass ein Mädchen maximal sechs Jahre die Schule besuchen konnte. Die Fächer in der unteren Abteilung waren Rechnen, Schreiben, Lesen, Singen und Religion, in der oberen Abteilung kamen Naturgeschichte und Erdbeschreibung dazu, «so viel Töchter nötig haben».
Auf katholischer Seite sind ebenfalls Anstrengungen zur Verbesserung der Mädchenbildung zu orten. So richtete Pfarrer Josef Popp in der «Reburg» ein Pensionat für primarschulentlassene Mädchen ein. Doch es war nur zwei Jahre in Betrieb. 1854 wurde anstelle des Pensionats eine katholische Mädchensekundarschule eröffnet. Menzingen stellte die Lehrschwestern, während die Betriebsführung dem Katholischen Erziehungsrat oblag. Im Gegensatz zu anderen Kantonen blieb aber im Kanton St.Gallen eine ausgedehnte Tätigkeit den Lehrschwestern aus Menzingen versagt. Die Forderung im Kulturkampf nach Erlass des neuen Erziehungsgesetzes von 1862, die in den St.Galler Gemeinden tätigen Menzinger Schwestern zu entlassen, rief eine Protestkampagne hervor. Das Verbot wurde denn auch nie ganz umgesetzt. 1869 entstand in der Dompfarrei mit Menzinger Schwestern die erste «Kleinkinderschule» der Stadt St.Gallen. Nicht der 1871 ins Leben gerufene städtische Kindergarten, der immer wieder als erster weitherum genannt wird, war also genau betrachtet der erste.
Eine Pioniertat von St.Gallen war die Ausbildung von Kindergärtnerinnen. Das Kindergärtnerinnenseminar wurde vor 150 Jahren als erstes in der deutschsprachigen Schweiz auf privater Basis eröffnet. Lange aber blieben Frauen, die einen akademischen Beruf ausübten, die Ausnahme. 1878 wurde die Frauenarbeitsschule gegründet, welche aber keine berufliche Ausbildung bot, sondern eine gründliche Einarbeitung in der weiblichen Handarbeit. Es bestand aber die Möglichkeit zur anschliessenden Weiterbildung zur Arbeitslehrerin für Primar- und Fortbildungsschulen. Daraus entstand später das städtische Arbeits- und Hauswirtschaftslehrerinnenseminar (AHLS). 1883 wurden in der Zeichenschule neben 71 Entwerfern auch 37 Frauen unterrichtet. Doch nur mit Mühe fanden die Frauen nach Abschluss eine Anstellung in einem Stickereibetrieb.
Die erste Ärztin in St.Gallen war Elisabeth Völkin (1849 bis 1929), die nach dem Studium der Medizin in Zürich ab 1887 eine eigene Praxis führte. Sie engagierte sich für berufliche Chancen der Frauen im Frauenverband St.Gallen, für den sie unbemittelte Patientinnen unentgeltlich behandelte. 1888 richtete der Frauenverband eine unentgeltliche Frauenklinik ein, in welcher Völkin tätig war. Zu den ersten Ärztinnen in St.Gallen gehörte auch Frida Imboden-Kaiser (1877 bis 1962), die als dritte Medizinerin der Schweiz in Bern promovierte und erfolgreich den Kampf gegen die Kindersterblichkeit aufnahm.
An der Kantonsschule St.Gallen wurden von Anfang an (1856) auch Mädchen unterrichtet, allerdings erhielten sie kaum eine so umfassende Ausbildung wie die Knaben. 1894 wurden hier erst vier Mädchen unterrichtet. Ausserdem erfolgte der Unterricht ausschliesslich durch männliche Lehrpersonen. An der Zeichenschule wurde 1883 auch eine Abteilung für weibliche Handarbeit gegründet. Gelehrt wurde das Kunststicken im Rahmen allgemeiner hausfraulicher Tätigkeiten. Also nicht für ein berufliches Ziel.
1892 wurde die Mädchensekunder- und Töchterschule Talhof eröffnet, welche für Generationen von Mädchen eine breite Sprach- und Allgemeinbildung vermittelte und zum Standard wurde für künftige Ehefrauen. Die Töchterschule Talhof war gegliedert in eine Handels-, Seminar-, Literar- und allgemeine Ausbildung. 1970 wurde sie von 358 Schülerinnen besucht.
Zögerlich wurden im Lehrerseminar Mariaberg in Rorschach auch Frauen ausgebildet. 1910 waren es fünf. Heute beläuft sich der Männeranteil an der Pädagogischen Hochschule St.Gallen auf der Kindergarten- und Primarstufe auf 18 Prozent.
An der 1898 gegründeten Handelshochschule (heute Universität) waren von Anfang an Frauen zugelassen, wie Karin Ingler in ihrer Schrift «Die Anfänge des Frauenstudiums an der Handelshochschule St.Gallen» festhielt. Bereits im zweiten Studienjahr unterrichtete mit Hedwig Graf auch eine Frau in französischer, italienischer und englischer Stenografie. Lange aber blieben die Professoren gegenüber Studentinnen skeptisch, die zwar in den Anfangsjahren fast einen Drittel der Studentenschaft ausmachten, allerdings im Status von «Hörerinnen» ohne Abschluss.
So mokierte sich Willi Nef, dass «die Frauen in den Hörsälen, Seminarien und Korridoren «umscharwenzeln» und «herumflirten». Sie würden nach Sprachaufenthalten im Ausland gerne durch angenehme Studien an der HHS die Zeit ihrer Rückkehr bis zur Vermählung vertreiben. In der Tat traten die Frauen das Studium selten mit einem konkreten Karriereziel an. Nur in Einzelfällen kam es zu beruflicher Tätigkeit im kaufmännischen Umfeld. 1905 waren immerhin elf reguläre Studentinnen immatrikuliert – eine Rekordzahl, die bis 1928 nicht mehr erreicht wurde. Heute beläuft sich der Frauenanteil an der Universität St.Gallen auf 35 Prozent.
Alice Scheitlin legte 1905 als erste Frau an der HHS die kaufmännische Diplomprüfung mit durchgehend guten Leistungen ab. Bis 1913 war sie in St.Gallen als Sprachlehrerin für Französisch und Englisch tätig, bevor sie nach Bern umzog. 1930 siedelte sie nach Newark N.Y. in den USA, wo sie wieder als Sprachlehrerin tätig war. Ab 1940 wirkte Alice Scheitlin gemäss Bürgerbuch der Ortsbürgergemeinde als Versicherungsangestellte in Orange N.Y. Sie starb 1974 in St.Petersburg in Florida. Sie war nicht verheiratet und hatte keine Kinder. Damit ist sie eine typische Figur für eine frühe Akademikerin, da die Ausübung des akademischen Berufs für Frauen im 20. Jahrhundert oftmals den Verzicht auf eine Familie bedeutete. Die gesellschaftliche Ungleichbehandlung blieb also lange bestehen.
Für mehr Chancen und gegen die Ausnützung von Frauen am Arbeitsplatz und «Hungerlöhne» in der Heimarbeit wandte sich Hermine Kessler, Vorsteherin der Frauenarbeitsschule, 1915 in ihrer Schrift «Frauen und Töchter im sanktgallischen Erwerbsleben». Es sollte eine Inspektorin oder einen Inspektor geben, um die Interessen der Fabrikarbeiterinnen wahrzunehmen, um «die niederdrückende Gewaltherrschaft höherer Angestellter» zu beenden. Angesichts des Niedergangs der Stickereiindustrie forderte sie zur weiteren Bereitstellung von Arbeitsstellen für Frauen unter anderem den Ausbau der Schürzenindustrie, die Schaffung einer Heimarbeits-Zentrale, welche auch für die Ausbildung der Mädchen und für die Verbindung zu den Firmen zu sorgen hätte. Weil kein Lehrlingsgesetz vorhanden sei, seien Berufsexpertinnen einzusetzen, um die Lehrlinge besser zu betreuen und eine Abschlussprüfung vorzunehmen. In grösseren Orten seien auch gewerbliche Fortbildungsschulen zu schaffen, um die theoretischen und praktischen Kenntnisse zu verbessern. Schliesslich forderte Hermine Kessler die Errichtung von Berufsberatungsstellen für Töchter, um sie in den richtigen Berufsweg zu begleiten. Zum Teil verflossen noch viele Jahre, bis Hermine Kesslers Wünsche in Erfüllung gingen.
Es war auch ein Anliegen von Hermine Kessler, die Bedeutung der beruflichen Tätigkeit des weiblichen Geschlechts aufzuzeigen, wie aus ihrer Schrift hervorgeht. Sie wandte sich gegen den Aufruf «Die Frau gehört ins Haus!» Sanktgallische Frauenhände würden in der Industrie unerlässlich bleiben. Oft sei die Arbeit der Frau auch unerlässlich aus Sorge um die Existenz. Hermine Kessler ging noch weiter und forderte - für die damalige Zeit sehr mutig -, dass jede Tochter einen Beruf erlerne, hauswirtschaftliche Tüchtigkeit genüge in der Zukunft nicht.
Von Franz Welte
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