Ein hoher Preis für die gesteigerte Intensität
FC St.Gallen-Staad: Sieben Spielerinnen des Fanionteams rissen sich in dieser oder der letzten Saison das Kreuzband
Der FC St.Gallen-Staad präsentiert sich in dieser Saison so stark wie noch nie. Die Euphorie wird allerdings durch gleich vier Kreuzbandrisse in den letzten Monaten getrübt. Schon in der Vorsaison erlitten drei Spielerinnen diese Verletzung, die Sportlerinnen für mindestens ein halbes Jahr ausser Gefecht setzt.
Fussball Die Mitteilungen, in denen der FC St.Gallen einen monatelangen Ausfall einer Spielerin bekannt geben muss, ähneln sich und leider häuften sie sich zuletzt. Nach Stürmerin Stephanie Brecht, die sich im November kurz vor ihrem ersten Zusammenzug mit dem A-Nationalteam das Kreuzband riss, ereilte im Februar Ronya Böni – bereits zum dritten Mal – das gleiche Schicksal. In den letzten beiden Meisterschaftsspielen erwischte es Victoria Bischof und Alessandra de Freitas. Hat diese Häufung der gleichen, schweren Verletzung einen Grund oder handelt sich um einen unglücklichen Zufall? «Würden wir uns als Staff in dieser Situation nicht hinterfragen, würde das unseren Spielerinnen nicht gerecht. Es gibt sehr wohl Gründe für die Häufung von Kreuzbandrissen und wir als Trainerstab müssen uns diesbezüglich sicherlich Gedanken machen und immer wieder nach bestem Wissen mögliche Anpassungen vornehmen», erklärt Marisa Wunderlin, die den FC St.Gallen-Staad seit letztem Sommer trainiert. Sie verweist auf die starke Entwicklung, die der Frauenfussball in den letzten Jahren durchlaufen hat, auf die gesteigerte Intensität und auf die stetig erhöhten Trainingsumfänge. «Mit der eigentlich sehr erfreulichen Entwicklung nicht Schritt gehalten haben die Regeneration sowie teilweise die Trainingsbedingungen», erzählt Wunderlin. «Bei Themen wie Platzverhältnisse, Trainingszeiten und dadurch auch bei Basisthemen wie Schlaf und Ernährung gibt es noch viel Verbesserungsbedarf, damit wir einen nächsten grossen Schritt vorwärts machen könnten. Einen Teil davon erarbeiten wir als Staff schrittweise mit den Spielerinnen und werden das auch künftig tun; bezüglich der Trainingsbedingungen brauchen wir jedoch auch Support von ausserhalb.»
Körperbau mitverantwortlich
Man habe teilweise mit den Spielerinnen in individuellen Gesprächen mit Arbeitgebern, Eltern und Schulleitungen nach Möglichkeiten gesucht, um mehr Raum für ausreichend Erholung zu schaffen. Hierbei sei man noch nicht am Ziel. Krafttraining und Belastungssteuerung seien ausserdem sehr grosse Themen. «Jede Spielerin macht einmal pro Woche mit dem Team und wenn möglich ein zweites Mal individuell Krafttraining. Ausserdem schaffen wir mit sogenannten exzentrischen Übungen und stabilisierenden Sprüngen eine bestmögliche Prophylaxe für Kreuzbandverletzungen», erklärt Wunderlin. Diese seien nicht nur beim FC St.Gallen-Staad, sondern generell im Fussball und ganz besonders bei Frauen im Spitzensport häufig. Aus der wissenschaftlichen Literatur sei bekannt, dass Frauen vier- bis achtmal häufiger von Kreuzbandrissen betroffen seien als Männer, was unter anderem mit der Physiologie zusammenhänge.«Ein breiteres Becken sowie eine Reihe anderer Faktoren sind mitentscheidend. Demgegenüber haben wir bei den Frauen beispielsweise wesentlich weniger muskuläre Probleme an der Rück- und Innenseite der Oberschenkel», erklärt Wunderlin, die sich dank ihrem Studium der Sportwissenschaften, ihrer Arbeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Bundesamt für Sport und ihrem Wirken als Athletiktrainerin bei den Männern des SC Kriens in der Challenge League mit Verletzungen im Spitzensport, möglichen Einflussfaktoren und Präventionsmassnahmen sehr gut auskennt.
Junge Frauen gefährdeter
Die Häufung der Kreuzbandrisse ist denn beim FC St.Gallen-Staad auch kein Phänomen, das erst mit dem Antritt der neuen Trainercrew im Sommer Einzug gehalten hat. In der vergangenen Saison hatten sich bereits Nachwuchsnationalspielerin Katharina Risch, Sportschülerin Yael Aeberhard sowie die zu jenem Zeitpunkt erfolgreichste Torschützin des Teams und der ganzen Liga, Ardita Iseni, eine Ruptur des Kreuzbandes zugezogen. Junge Spielerinnen seien besonders gefährdet, denn ab der Pubertät würden die Frauen hormonell bedingt zunehmen, sagt Wunderlin. Die Kraftentwicklung könne dabei im Gegensatz zu den Jungs, die in diesen Jahren einen Testosteronschub erfahren, nicht mithalten. «Vergleicht man die Kraft im Verhältnis zum Körpergewicht, klafft zwischen 16 und 18 Jahren eine riesige Lücke zwischen den Geschlechtern, während Athletinnen und Athleten im Erwachsenenalter über ähnliche relative Kraftwerte verfügen.» Hinzu komme, dass die besten Nachwuchsspielerinnen des FC St.Gallen-Staad in diesem Alter den Schritt in die 1. Equipe machten, was die Belastung zusätzlich erhöhe. Im Vergleich dazu verlaufe die Karriere eines männlichen Nachwuchsspielers oft in kleineren und stetigen Schritten. «Da stehe auch ich als Cheftrainerin in der Verantwortung», so Wunderlin. Für sie sei entsprechend klar, dass sie eine Spielerin sofort auswechsle, wenn diese Beschwerden habe oder nicht mehr rund laufe: «Für mich legitimiert das kurzfristige Resultat jedenfalls nie, ein Gesundheitsrisiko einzugehen.»
Von Tobias Baumann