«Die Solidarität greift»
Amt für Soziales und Friedegg-Treff arbeiten bei der Flüchtlingsbetreuung intensiv zusammen
Rund 110 Flüchtlinge aus der Ukraine leben aktuell in Gossau. Der grosse Teil davon in den Isenringblöcken, deren Sanierung sich für die Stadt als Glücksfall erwies. Doch die hohe Zahl der Flüchtlinge stellt sowohl die städtischen als auch die privaten Betreuer vor grosse Herausforderungen.
Flüchtlingsbetreuung «Wir wollten sicherstellen, dass die Geflüchteten nicht nochmals in eine Zwischenunterkunft müssen. Deshalb haben wir uns dem Kanton gegenüber bereit erklärt, rund 70 Personen auf einmal aufzunehmen, als wir den benötigten Wohnraum sichergestellt hatten», erklärt Aaron Steinmann, Leiter Amt für Soziales der Stadt Gossau. Die ganze Situation mit einem Krieg in Europa sei aussergewöhnlich schwierig. Angesichts dieser Umstände halte er es aber nicht für aussergewöhnlich, wenn rund 70 Personen gleichzeitig in einer Gemeinde ankämen. Dabei handle es sich überwiegend um Frauen, ältere Menschen und Kinder. «Der Kanton verteilt die Flüchtlinge gemäss Einwohnerzahl auf die Gemeinden und unsere Aufgabe ist es, eine anständige Unterbringung und Betreuung sicherzustellen», so Steinmann. In erster Linie bezahle der Bund für die Unterbringung der Flüchtlinge. «Die Pauschale reicht nicht ganz aus, aber es ist bei weitem nicht so, dass wir als Stadt hauptsächlich für diese Flüchtlinge aufkommen müssen», stellt Steinmann klar. Für die Organisation, die Betreuung und die Integration ist jedoch die Stadt verantwortlich.
Zusätzliche Stellen
Bei der Wohnungssuche versuche man proaktiv vorzugehen, um im Bedarfsfall über vertretbaren Wohnraum zu verfügen. Dass die Isenringblöcke freistanden, könne man sicherlich als Glücksfall bezeichnen: «Sie bieten einfachen, bezahlbaren und anständigen Wohnraum.» Für die Betreuung der bis zum Kriegsausbruch in der Ukraine gut 140 Flüchtlinge in Gossau sind bisher drei Personen zuständig. Sehr positiv bewertet Steinmann, dass die Stadt Gossau unter seinem Vorgänger im Gegensatz zu vielen anderen Gemeinden das Asylwesen als eigenständigen Bereich im Sozialamt organisiert hat. Doch mit 110 zusätzlichen Flüchtlingen reichten die 260 Stellenprozent nicht mehr aus, sagt Steinmann: «Wir prüfen daher mögliche zusätzliche Stellen. Denkbar ist eine Person, die sich um die administrativen Belange kümmert und jemand für den Liegenschaftsunterhalt.» Das Profil der Unterhaltsstelle sei sehr offen. Wichtig sei bei dieser Person, dass sie gerne mit Flüchtlingen arbeite, sich durchsetzen könne und wenn möglich über einen handwerklichen Hintergrund verfüge. Die Möglichkeiten zur Betreuung der Flüchtlinge durch die Stadt seien aber beschränkt, räumt der Leiter Amt für Soziales ein: «Wir sind deshalb sehr froh um die private Initiative des Friedegg-Treffs. Das ist ein wertvoller Partner für uns und ich erlebe die Zusammenarbeit als sehr, sehr gut.» Das Kompliment gibt Stefan Häseli, Präsident des Friedegg-Treffs, zurück: «Die Zusammenarbeit ist sehr gut. Wir arbeiten Hand in Hand und spüren alle, dass diese Herausforderung anders nicht zu bewältigen ist.»
Leute mit hohem Bildungsniveau
Das sogenannte Flüchtlingsteam im Friedegg-Treff umfasst rund 25 Personen. Doch diese hätten alle schon ihre Flüchtlinge, die sie begleiten. «Deshalb sind unsere Gastgeberinnen eingesprungen, die am Dienstagnachmittag einen Begegnungsnachmittag eingerichtet haben», erzählt Häseli. Ausserdem habe sich schnell gezeigt, dass sich die ukrainischen Flüchtlinge untereinander sehr gut vernetzten und in der Regel über ein gutes bis sehr gutes Bildungsniveau verfügten, was die Betreuung vereinfache. Dies bestätigt Aaron Steinmann, der ausserdem darauf verweist, dass diese Leute über einen ähnlichen kulturellen Hintergrund wie wir verfügten. Häseli versichert, man führe eine Liste mit Personen, die sich freiwillig gemeldet hätten und die man kontaktieren könne, sollte der Betreuungsaufwand in den kommenden Wochen und Monaten steigen. «Aber wir rekrutieren keine Freiwilligen auf Vorrat», stellt er klar. Einen Aufruf habe man aber für die Deutschkurse lancieren müssen. «Fast alle der angekommenen Ukrainerinnen wollen zumindest ein wenig Deutsch lernen. Die Stadt kann aber unmöglich alle in offiziellen Sprachkursen unterbringen», so Häseli. Das Resultat des Aufrufs sei überwältigend gewesen: «Wir konnten 20 Freiwillige rekrutieren, die ohne Bezahlung den Flüchtlingen Deutsch für die Alltags-Konversation beibringen», erzählt Häseli und stellt fest: «Die Solidarität greift!»
Unmut über Ungleichbehandlung
Wenn jemand keine freie Zeit zur Verfügung stellen könne, aber materiell helfen wolle, so seien Kleider für die Kleiderbörse des Treffs immer sehr gefragt. Lebensmittel habe man genug, die Ukrainer könnten die bereits bestehende Lebensmittelabgabe des Treffs nutzen, die auch allen anderen Flüchtlingen sowie Personen mit einem gültigen Sozial-Ausweis offen steht. Dass der S-Status der Ukrainer teilweise für Verstimmung bei anderen Flüchtlingsgruppen geführt hat, räumt Häseli offen ein. «Während alle anderen Nutzer für die Lebensmittelabgabe einen Franken bezahlen müssen, war sie für die Ukrainer bisher gratis. Das ist stimmungsmässig schwierig», drückt sich Häseli vorsichtig aus. Dass sie selbst erst ein langwieriges Asylverfahren hätten durchlaufen müssen und nun die Neuankömmlinge sofort einer Arbeit nachgehen dürften, habe bei den schon länger anwesenden Flüchtlingen verständlicherweise eine gewisse Unruhe verursacht. Beim Sozialamt habe man ein offenes Ohr für diese Problematik gehabt und so sei in der Zwischenzeit entschieden worden, dass die Kleiderbörse und die Lebensmittelabgabe ab sofort für alle kosten. Wie gut oder schlecht es den Ukrainern psychisch gehe, könne er nicht beurteilen. «Zu Beginn haben wir festgestellt, dass sie sehr ruhig und zurückhaltend waren. Aber wie ich jetzt höre, hat sich die Zurückhaltung inzwischen gelegt und sie arrangieren sich mit der schwierigen Situation», erzählt Häseli. Doch klar sei, dass die Geflüchteten am liebsten wieder zurück in die Ukraine wollten. Wann das sein werde, könne man noch kaum abschätzen, sind sich Häseli und Steinmann einig.
Von Tobias Baumann