Aus dem Luftschutzbunker bis an die Mailänder Oper
Vom kleinen Jungen, der an der Musikschule Fürstenland erste Stunden nimmt, bis zum Solotrompeter an der Mailander Scala: Immanuel Richter hat sein persönliches musikalisches Märchen realisiert. Heute unterrichtet der gebürtige Gossauer an der Hochschule Luzern Trompete und spielt im Sinfonieorchester Basel.
Musik «Als Festangestellter eines subventionierten Orchesters darf ich überhaupt nicht jammern. Wir können zwar aktuell nicht auftreten, aber dank Kurzarbeit ist unser Lohn im Gegensatz zu allen freischaffenden Künstlern gesichert», erzählt Immanuel Richter, der seit 2009 hauptberuflich für das Sinfonieorchester Basel die erste Trompetenstimme spielt. Gleichzeitig unterrichtet Richter Musik an der Hochschule Luzern und trägt so dazu bei, dass sich die Studierenden vielleicht dereinst wie er selbst ihren Traum erfüllen und vom Musizieren leben können. «Bei mir hat sich früh abgezeichnet, dass ich Berufsmusiker werden würde. Die Musik war stets ein wichtiger Bestandteil meines Lebens und während der Zeit an der Kantonsschule wurde das Engagement immer intensiver», erinnert sich Richter. Nun bildet er zukünftige Berufstrompeter aus, die als Musiklehrer, Orchestermusiker oder Solisten ihren Lebensunterhalt bestreiten wollen. «Dies geschieht vorwiegend im Einzelunterricht. Ich arbeite aktuell mit zwölf Studierenden verschiedener Studienjahrgänge an den technischen und musikalischen Grundlagen des Trompetenspiels - teilweise auch mit Ensembles, die für ihre gemeinsame Karriere Kammermusik studieren», erzählt Richter. Unterricht wird klassische Musik von der Renaissance bis zur Neuzeit: «Also alles, was nicht Jazz, Pop oder Volksmusik ist», vereinfacht der 46-Jährige für den Laien.
Trompetengruppe sei Dank
Angesprochen auf seine Gossauer Wurzeln kommt Richter auf Paul Schwizer zu sprechen, der ihn in seine Trompetengruppe aufnahm, obwohl der kleine Immanuel damals eigentlich zu jung war für das Instrument. «Er war mein Förderer und wir stehen heute noch im Kontakt», erzählt Richter über seinen Musiklehrer, der inzwischen eine eigene Anwaltskanzlei an der Bischofszellerstrasse in Gossau führt, daneben aber immer noch Trompetenunterricht erteilt. Schwizers Trompetengruppe spielte damals in der Pauluskirche, in der Richters Vater als Laientheologe predigte. «Als ich diese Gruppe hörte, wollte ich dazugehören. Deswegen habe ich mit dem Trompetenspiel begonnen», erinnert sich Richter, der davor am Klavier musizierte. Da die Nachbarn im Block nicht eben erfreut waren über den grossen Fleiss, den Richter beim Erlernen des neuen Instruments an den Tag legte, musste sich dieser andere Übungsräume suchen. «Ich spielte vornehmlich in Luftschutzbunkern ohne Tageslicht und durfte ausserdem in Pauls Wohnung üben. Dessen Nachbarn waren sich das schon gewohnt», lacht Richter. Der Fleiss machte sich bezahlt: So gewann Richter bereits als Jugendlicher verschiedene Wettbewerbe und erwarb später während der Ausbildung am Konservatorium Zürich bei Claude Rippas sämtliche Diplome mit Auszeichnung.
Hinterm Vorhang
Nach Engagements beim Orchester der Oper Zürich und im Sinfonieorchester St.Gallen zog Richter mit seiner Familie ins Tessin und spielte als Solotrompeter im «Orchestra della Svizzera Italiana» in Lugano. Damals stiess er in einer Fachzeitung auf eine Ausschreibung für die Stelle als Solotrompeter an der Mailänder Scala. «Ich habe meine Unterlagen eingereicht und wurde mit rund 40 anderen Trompetern eingeladen», erzählt Richter. Über mehrere Tage hätten sie sich Runde für Runde messen müssen, wobei die Bewerber hinter einem Vorhang spielten, so dass die Orchestermitglieder nur aufgrund des Klangs entscheiden konnten, wer weiterkommt. «Ein Probespiel ist bei der Besetzung eines Orchesterplatzes üblich. In der Scala war aber alles grösser und der Prozess zog sich über Tage hin», erinnert sich der Hochschuldozent, der als Letzter übrig blieb und tatsächlich die hochbegehrte Stelle erhielt, die unter Musikern einem Ritterschlag gleichkommt. «Diese Berufung war wie ein Wechsel zum FC Bayern München oder zum FC Barcelona für einen Fussballer. Die Scala gehört zu den renommiertesten Opernhäusern der Welt», ordnet Richter ein.
Italienischer Lohn
Trotzdem entschied sich der vierfache Familienvater nach drei Jahren für eine berufliche Rückkehr in die Schweiz. «Täglich reisten tausende Grenzgänger aus Italien in die Schweiz und ich ging als Einziger den umgekehrten Weg. Mein Lohn entsprach italienischen Verhältnissen - bei Schweizer Lebenshaltungskosten. Als sich die Chance im Sinfonieorchester Basel bot, haben wir entschieden, zurück in die Deutschschweiz zu ziehen», erzählt Richter. Da er in Basel mehrfach für einen erkrankten Kollegen eingesprungen war, bot ihm das Orchester die Stelle ohne Probespiel an. Und so spielt der gebürtige Gossauer inzwischen seit zwölf Jahren im Sinfonieorchester Basel. Die Liebe zur Musik hat er auch seinen Kindern vererbt, die allesamt musizieren. «So wie es aussieht, wollen meine beiden Töchter Berufsmusikerinnen werden. Sie spielen sehr intensiv Geige beziehungsweise Cello. Ich begleite sie jeweils am Klavier», erzählt Richter. Da er im letzten Jahr selber kaum Konzerte geben konnte, realisierte Richter einige Youtube-Videos, in denen sein Können zu bestaunen ist. Immer wieder bestreitet er auch Solokonzerte. In seiner alten Heimat Gossau trat er zuletzt vor rund drei Jahren öffentlich auf. «Ausserdem spiele ich immer am Gedächtnis meines Vaters», verrät Richter, dessen Mutter nach wie vor im gleichen Block wohnt, in dem der junge Immanuel die Nerven der Nachbarn strapazierte.
Von Tobias Baumann