Cécile Koch
Hilft Kindern und Jugendlichen aus Alkoholiker-Haushalten.
Der Hauswart der Villa an der Tellstrasse war gerade dabei, die Sträucher zu schneiden, als Valerie durch das Gartentor trat. Er war ein wettergegerbter Mann in mittleren Jahren, dem man ansah, dass er sich am liebsten im Freien aufhielt. Valerie zeigte ihm ihren Ausweis und fragte, ob er ihr ein paar Auskünfte über Beat Egli geben könne. Er legte die Gartenschere auf die abgeschnittenen Äste, die in einem Schubkarren lagen und fragte verwundert: „Herr Egli? Ein netter, ruhiger Mieter. Was wollen Sie über ihn wissen? Er hat doch hoffentlich nichts ausgefressen?“ „Nein“, beruhigte ihn Valerie“, wir befragen mehrere Personen routinemässig im Zusammenhang mit einem Fall, den wir gerade bearbeiten. Haben Sie vielleicht beobachtet, dass Herr Egli Streit mit jemanden hatte?“ Der Hauswart schüttelte den Kopf. „Nein. Wie gesagt, Herr Egli ist ein unauffälliger, ruhiger Mieter.“ „Wissen Sie, ob er eine Freundin hat?“ Er dachte kurz nach. „Das weiss ich nicht. Aber vor ungefähr drei Wochen kam an einem Abend eine junge, hübsche Frau zu ihm, die ich vorher noch nie hier gesehen habe.“ Valerie hatte schnell Notizblock und Stift aus der Tasche genommen und sagte: „Können Sie diese Frau näher beschreiben?“ Der Hauswart dachte wieder nach. Dann begutachtete er Valerie und sagte: „Sie war ungefähr so gross wie Sie, schlank, hatte dunkelblonde, lange Haare und war etwa fünfundzwanzig bis dreissig Jahre alt.“ Er schwieg einen Moment, dann fügte er hinzu: „Und hübsch war sie auch.“ Nachdem sich Valerie Notizen gemacht hatte, fragte sie: „Wissen Sie, ob Herr Egli oft Besuch hat?“ „Nicht, dass ich wüsste. Aber ich sehe natürlich nicht immer alle Leute, die ins Haus kommen. Ich weiss nur, dass er fast jeden Freitagabend ausgeht und erst spät nachts nach Hause kommt. Und an den Samstagen fährt er oft weg und kommt erst sonntagabends zurück.“ Er zwinkerte Valerie vielsagend zu. „Er wird wahrscheinlich irgendwo einen Schatz haben, mit dem er die Wochenenden verbringt.“ Valerie erkundigte sich noch nach den anderen Mietern in der Villa. Davon gab es nur noch zwei im oberen Stockwerk: Ein älteres Ehepaar und eine Künstlerin, die nach Ansicht des Hauswarts unverständliche, moderne Bilder malte. Aber mit keinem dieser Mieter habe Beat Egli nähere Bekanntschaft geschlossen, da war sich der Hauswart sicher. Valerie bedankte sich und stieg in ihr Auto, um in den Klosterhof zurückzufahren. Sie fragte sich, wen Beat Egli wohl regelmässig an den Wochenenden besuchte. Wahrscheinlich die junge, hübsche Frau, von der der Hausmeister gesprochen hatte. Bei diesen Gedanken keimte plötzlich eine Spur von Eifersucht in ihr auf. Um sich von derartigen, unangemessenen Gefühlen abzulenken, schaltete sie das Radio an und summte die Melodie eines Schlagers mit, der ihr eigentlich überhaupt nicht gefiel. Bruno Holderegger sass in seinem Büro und war dabei, einen Bericht über den aktuellen Stand des Falles Graziani zu schreiben, als er angerufen wurde. Es war Hugo Kessler, Beat Eglis Vorgesetzter. „Ich weiss nicht, ob es überhaupt von Bedeutung für Sie ist“, sagte er, „aber mir ist eigefallen, dass es vor vier Jahren doch einen Vorfall gegeben hat, der mit Beat Egli zu tun hatte.“ Bruno horchte interessiert auf. „Ja? Erzählen Sie einfach, worum es ging.“ „Einem unserer Sachbearbeiter wurde gekündigt. Der Mann beschuldigte Beat Egli, er hätte ihn bei der Firmenleitung angeschwärzt und gegen ihn intrigiert. Er machte einen lautstarken Aufstand und hat Beat Egli sogar bedroht. Das hat einiges Aufsehen erregt.“ „Und?“ fragte Bruno, „war Beat Egli tatsächlich schuld, dass der Mann entlassen wurde?“ „Natürlich nicht“, antwortete Hugo Kessler, „Herr Egli hat kein schlechtes Wort über ihn gesagt. Wir haben den Mann entlassen, da ihm immer wieder Fehler unterlaufen sind. Wir hatten ohnehin lange Geduld mit ihm. Ausserdem zeigte er kein grosses Interesse für seine Arbeit.“ „Wie ist der Name des Mannes?“ fragte Bruno gespannt. „Robert Eugster“, antwortete Hugo Kessler. „Können Sie mir seine Adresse geben?“ fragte Bruno. Er bekam eine Adresse im Wolfganghof, die er sich notierte. „Wissen Sie, wo Robert Eugster jetzt arbeitet?“ fragte er noch. „Soviel ich weiss, war er eine ganze Weile arbeitslos. Jetzt soll er in einer Tankstelle arbeiten“, antwortete Hugo Kessler, „aber etwas Näheres weiss ich nicht.“ „Ich glaube, Sie haben uns einen grossen Dienst erwiesen“, sagte Bruno und bedankte sich. Er legte den Hörer auf, schob den angefangenen Bericht zur Seite und dachte nach. Als Valerie in sein Büro hereinstürmte, schreckte er aus seinen Gedanken auf. Doch noch bevor sie über ihr Gespräch mit dem Hausmeister etwas erzählen konnte, sagte er: „Komm, Valerie, wir fahren in den Wolfganghof. Ich glaube, dort finden wir wieder ein Puzzleteilchen.“
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